Chile – Ein Land der Extreme…
…4200 Kilometer lang, an der schmalsten Stelle 90 Kilometer breit, die majestätischen Anden, der unbezwingbare Pazifische Ozean, das ewige Eis, die trockene Atacama, 18 Millionen Einwohner, europäische Einwanderer, stolze Indigene und eine enorme soziale Schere.
Die Hauptstadt Santiago de Chile gilt als finanzielles, kulturelles sowie kulinarisches Zentrum des Landes. Mit ihren vielfältigen Angeboten steht die Metropole mit über 8 Millionen Einwohnern im extremen Gegensatz zu dem ansonsten ländlich/landwirtschaftlich geprägten Chile.
Nichtsdestotrotz spiegelt Santiago besser als jede andere chilenische Stadt die sozialen Verhältnisse wider. Die reiche, privilegierte Gesellschaft wohnt in gehobenen Vierteln fern von den chilenischen Slums – du bist, wo du wohnst und da bleibst du auch. Eine Mittelschicht, wie wir sie kennen, ist in Chile noch heute kaum ausgeprägt. Die gesellschaftlich Benachteiligten, zumeist die Arbeiterschicht, Indigene oder auch in ihren Fähigkeiten eingeschränkte Personen, erhalten kaum die Möglichkeit zu einem sozialen Aufstieg und verbleiben zumeist in prekären Lebenssituationen.
Dies ist unter anderem tendenziell der Privatisierung des Schulwesens geschuldet. Die Kosten für eine Privatschule, welche eine gute Ausbildung mit anschließendem Besuch einer kostenpflichtigen Universität bedeutet, können nur von der gehobenen Schicht erbracht werden. Die weniger Privilegierten können nur staatliche beziehungsweise kommunale Lehreinrichtungen besuchen, die über spärliche finanzielle Mittel verfügen. Insbesondere die wehrlosesten der Gesellschaft, die Kinder und Jugendlichen, sind die Leidtragenden dieser gesellschaftlichen Situation. Speziell indigene, psychisch und physisch benachteiligte Kinder- und Jugendliche werden marginalisiert, wenn nicht sogar quasi versteckt.
Die soziale Schere wird so von Grund auf aufrechterhalten. Ein Umstand, der das Land immer wieder in Unruhen versetzt. Immer häufiger kommt es zu Studentenaufständen in Santiago und Demonstrationen der indigenen Bevölkerung der Mapuche (insbesondere im Süden Chiles), die damit auf bestehende gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen wollen und eine Änderung fordern – oftmals friedlich, aber auch mit Gewalt.
Inclusive Kinder- und Jugendförderung
Du, ich, wir – die anderen. Schon früh beginnen wir Kategorien zu bilden: Sei es im Kindergarten, als Räuber und Gendarmen, in der Schule, die Coolen und die Nerds, im Berufsleben, die Erfolgreichen und die Verlierer. Kategorien bestimmen oftmals unser Dasein, bestimmen Dazugehörige und Außenseiter, trennen uns von Anderen. Schwarz oder weiß, so einfach scheint es – aber eigentlich ist doch alles bunt. Es gibt Nuancen von Rot, Blau, Grün, es gibt Grautöne, eine riesige Vielfalt. Wenn alle Menschen dabei sein können, ist es normal anders zu sein, bunt zu sein. Das ist Inklusion: Jeder Mensch gehört dazu, es gibt kein Wir und kein Ihr, sondern nur ein WIR. Wenn man etwas nicht kennt oder nicht kann, ist das nicht besser oder schlechter. Es ist normal! Jeder Mensch soll so akzeptiert werden, wie er oder sie ist.
Doch insbesondere in einem Land wie Chile ist das nicht normal. Das Land wird nach wie vor von Kategorisierungen bestimmt: Reich und Arm, ‚Europäer‘ und ‚Indianer‘, ‚normal‘ und ‚behindert‘. Dieses Wir und Ihr kennzeichnet und spaltet die Gesellschaft. Vor allem die Außenseiter erfahren dementsprechend eine starke Marginalisierung, werden zum Teil sogar versteckt und erfahren so gut wie keine staatliche Förderung.
Mit unserer inklusiven Kinder- und Jugendförderung versuchen wir speziell 3 benachteiligte Randgruppen im Süden Chiles, in Araukanien, zu unterstützen:
- Frauen/Mädchen
- Indigene
- Psychisch/physisch benachteiligte Menschen
Durch die gezielten Förderungsmaßnahmen soll es ihnen ermöglicht werden:
- sich als Mensch mit einem sozialen individuellen Wert zu fühlen
- sich Fähigkeiten oder Wissen anzueignen
- dieses Wissen an andere weiterzugeben und somit als Multiplikatoren zu fungieren
- ihre körperliche und geistige Disposition zu verbessern
- und somit die Grundlage für ein selbstbestimmtes, selbstdefiniertes und finanziell eigenständiges Leben zu führen
Bisher und auch in Zukunft soll diese Zielsetzung durch folgende Maßnahmen unterstützt werden:
- Die Einrichtung eines Therapieraumes: In der Sala Astoria können die indigenen und zum Teil psychisch/physisch geschädigten Mädchen des Mädchenheims Cecilia B. de Widmer seit 2013 selbstständig, mit einfachen therapeutischen Mitteln ihren Zustand verbessern und einen Ausgleich zum Heimalltag finden.
- Der Bau von Gewächshäusern: Mittlerweile konnten sowohl in der Agrícola Santa Cruz als auch in der Landschule El Tesoro Gewächshäuser, unter Mithilfe der Eltern, errichtet werden. Auch im Mädchenheim Cecilia B. de Widmer konnte ein marodes Gewächshaus renoviert werden. Die indigenen Kinder und Jugendlichen erlernen hier unter Anweisung sowie unter Berücksichtigung kultureller Eigenheiten der Mapuche den Anbau heimischer Gemüse und Kräuter, die sie dann ernten, aufbereiten und vermarkten. Gewinne, die in der Agrícola generiert werden, werden reinvestiert beziehungsweise fließen in deren Ausbildung. Aufgrund der großen Resonanz wurde in der Agrícola ein entsprechender Verarbeitungsraum eingerichtet.
Die Landschule verschreibt sich im Gegensatz dazu komplett der indigenen Tradition des Austausches. Dabei wird produziertes Gemüse zum Beispiel gegen andere Lebensmittel eingetauscht. Beide haben jedoch zum Ziel ,den Kindern und Jugendlichen ein fundiertes landwirtschaftliches und kulturelles Wissen mitzugeben, welches sie weitergeben können und welches ihnen zugleich eventuell Perspektiven eröffnet.
- Der Bau einer Behindertenwerkstatt: In der Escuela Especial Las Lilas konnte bereits erfolgreich 2016 unter Mithilfe der Gemeinde Traiguén eine behindertengerechte Werkstatt eingerichtet werden. Die Kinder und Jugendliche werden, unter Berücksichtigung ihrer individuellen Fähigkeiten, an einfache behindertengerechte Arbeiten sukzessive herangeführt. Das Selbstwertgefühl, das Sozialverhalten sowie der Teamgeist werden dadurch gestärkt – die Aussicht auf einen späteren erfolgreichen Eintritt in die Arbeitswelt, und damit auf ein selbstständiges Leben, wird demgemäß deutlich verbessert. Holzarbeiten, die in der Werkstatt entstehen, werden verkauft und der Gewinn fließt wiederum in die Bildung der Kinder und Jugendlichen.
- Anpassung
infrastruktureller Gegebenheiten: Das Umfeld der Kinder und Jugendlichen wird oftmals den
speziellen Bedürfnissen nicht gerecht. Deswegen gilt es auch hier
Verbesserungen anzubringen. Im Mädchenheim Cecilia
B. de Widmer wurde daher der Innenhof zu einer Oase verwandelt, in der die
Mädchen sich insbesondere in den warmen Monaten vergnügen können und so dem
tristen Heimalltag entfliehen. Der Innenhof entspricht nun auch den nötigen
Sicherheitsbestimmungen.
In der Escuela Especial Las Lilas wurde der Innenhof den spezifischen Notwendigkeiten angepasst. Dieser ist nun von den Kindern und Jugendlichen ohne Risiken nutzbar. Bei der Gestaltung des Innenhofes wurden die Schüler einbezogen, welche diesen nun endlich auch mit Spaß und Freude aufsuchen.
In der Landschule El Tesoro wurde ebenso vor kurzem der gesamte Speiseraum renoviert und kindgerecht gestaltet.
- Erneuerung des Mobiliars: Natürlich besteht auch die Notwendigkeit das Mobiliar anzupassen. Oftmals sind standardisierte Tische und Stühle schlichtweg ungeeignet für die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen. Dementsprechend wurden im Mädchenheim, in der Behindertenschule sowie in der Landschule mittlerweile Tische und Stühle zu einem großen Teil erneuert. Als wesentlich erscheint hier das Mobiliar nicht bei einem großen Möbelgeschäft zu erwerben, sondern auch Kleinunternehmer aus der Region zu unterstützen.
- Kochkurse: Diese wurden und werden weiterhin im Mädchenheim Cecilia B. de Widmer durchgeführt. Unter Anleitung eines ausgebildeten Koches eignen sich die Mädchen sowohl ein Grundwissen im Umgang mit Lebensmitteln, der Zubereitung typischer chilenischer Speisen als auch in der Nahrungsmittelhygiene an. Dabei werden die Gemüse und Kräuter aus eigenem Anbau verwendet. Die selbstproduzierten Köstlichkeiten werden selbst verzehrt und nebenbei erlernen sie etwas für ihr zukünftiges Leben.
- Maltherapie: In diesen Kursen lernen die Mädchen des Hogar Cecilia B. de Widmer und die Schüler der Escuela Especial Las Lilas ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Aus einfachen Materialien stellen sie kleine Kunstwerke her. Dabei lernen die Kinder und Jugendlichen Arbeiten konsequent zu verfolgen, kreativ Dinge zu verwerten/umzuwandeln/recyclen. Darüber hinaus schulen sie dadurch ihre Motorik, ihre Geduld und ihr Sozialverhalten.
- Aufbau einer Schulbibliothek: In der Landschule El Tesoro wird Schritt für Schritt eine kleine Schulbibliothek aufgebaut. Damit soll der Unterricht der Schüler unterstützt, aber auch das individuelle Interesse an Büchern gestärkt werden. In Chile gibt es kein Verlagswesen, sodass jede Lektüre aus Spanien zu horrenden Preisen importiert wird. Bücher sind für die arme Landschule nicht bezahlbar, die somit auf Hilfe angewiesen ist.